Ludwig Göhring druckte die „Blätter der sozialistischen Freiheitsaktion“ in einer Höhle in der Hersbrucker Schweiz. Später desertierte er und wollte seine ehemaligen Kameraden von der Sinnlosigkeit ihres Kampfes überzeugen …
Video zur Geschichte von Ludwig Göhring
Ludwig Göhring
*9.8.1910 (Nürnberg), +6.7.1999 (Nürnberg)
Klempner; 1933 aktiv im Widerstand; 12.8.1933 Verhaftung;
KZ Dachau; November 1934 Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis;
Haft in Nürnberg; Oktober 1936 KZ Dachau; 1.11.1939 KZ Flossenbürg; Februar 1940 KZ Dachau; 21.7.1944 KZ Neuengamme; 5.11.1944
SS-Sturmbrigade Dirlewanger; Dezember 1944 Flucht und Übertritt zur Roten Armee; Oktober 1945 Rückkehr nach Nürnberg; Arbeit in der Betreuungsstelle für politisch und rassisch Verfolgte des NS-Regimes.
Am 9. August 1910 wurde Ludwig Göhring in Nürnberg geboren. Sein Vater war Industriearbeiter und seit langem Mitglied der SPD. Ludwig Göhring wuchs mit seinem Bruder und zwei Schwestern in einem politisch interessierten Arbeitermilieu auf. Dies prägte seine Kindheit und Jugend. Er trat der Sozialistischen Arbeiterjugend bei, der Jugendorganisation der SPD.
Im April 1930 verlor er seine Anstellung als Klempner und wurde arbeitslos. Mit einem Freund begab sich der 19-Jährige auf Wanderschaft. Ein Erlebnis während eines Arbeiterjugendtages führte zu seiner politischen Umorientierung: Auch die arbeitslosen Jugendlichen sollten den Veranstaltungsbeitrag in voller Höhe entrichten. Dagegen protestierten die Arbeitslosen, die daraufhin von der Abschlusskundgebung ausgeschlossen wurden. Ludwig Göhring trat empört zum Kommunistischen Jugendverband Deutschlands über.
Den größten Teil seiner Wanderschaft verbrachte Ludwig Göhring in Schweden, wo er Arbeit fand und neue Freundschaften knüpfte. Eine Aufenthaltsgenehmigung besaß er allerdings nicht. Im Sommer 1932 wurde er das erste Mal festgenommen und ausgewiesen, kurze Zeit später erneut aufgegriffen. Der gerade 22 Jahre alt gewordene Ludwig Göhring kehrte nach Nürnberg zurück. Dort traf er auf zugespitzte politische Verhältnisse. Handfeste Auseinandersetzungen vor allem mit Angehörigen der SA nahmen zu. In der KPD, deren Mitglied Ludwig Göhring inzwischen geworden war, begannen Vorbereitungen auf die Illegalität. Er engagierte sich in seinem Stadtteil Gartenstadt und verteilte unter anderem Material der KPD. Wegen des Verdachts der Verbreitung illegaler Schriften wurde im Herbst 1932 die Wohnung seiner Eltern durchsicht.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde die Lage für die KPD bedrohlich. Im März 1933 war das Führungspersonal der Nürnberger KPD größtenteils verhaftet, befand sich in der Illegalität oder war ermordet worden. Trotzdem gelang es, illegale Organisationsstrukturen aufrechtzuerhalten. Ludwig Göhring beteiligte sich am Widerstand. Er übernahm die Verteilung von verbotenen Schriften wie beispielsweise der „Roten Fahne“ und der „AIZ“ („Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“).
Im Mai 1933 wurde von der illegalen Leitung der KPD die Herausgabe einer Publikation für den Raum Nordbayern beschlossen. Ludwig Göhring erhielt den Auftrag, sie zu vervielfältigen. Die Arbeit begann im Mai in einer Gartenkolonie. Der Handabziehapparat erwies sich aber als zu laut, die Genossen befürchteten, der Lärm könne sie verraten, und sie beschlossen, den Druck der „Blätter der sozialistischen Freiheitsaktion“ unter Tage zu verlegen – in eine Höhle in der Hersbrucker Schweiz im Veldensteiner Forst. Die Druckmaschine wurde zerlegt und dorthin transportiert. „Die einzelnen Sachen brachten wir zu Schacht, steckten sie wieder in den Rucksack und ließen diesen am doppelten Seil nach unten, um dann das Seilende wieder heraufzuziehen. Schwierigkeiten hatten wir dann mit dem Apparat. Es ging erst, als wir ihn zerlegten, um die Teile einzeln hinunterzulassen. (…) Bis zum Morgen des anderen Tages hatte ich die Maschine wieder montiert (…). Ich rief dann hinauf und stieg auf; Seil und Karbidlampe kamen ins Versteck.“ (Aus: Ludwig Göhring: Dachau, Flossenbürg, Neuengamme. Eine antifaschistische Biographie, Schkeuditz 1999, S.68.)
Die Höhlendruckerei war betriebsbereit, und die zweite Ausgabe der „Blätter der sozialistischen Freiheitsaktion“ konnte erscheinen. Am 12. August war die fünfte Ausgabe fertig gestellt. Ludwig Göhring verpackte die 1500 Exemplare und begab sich zum Nürnberger Ostbahnhof, wo er die Pakete an die unterschiedlichen Verteiler übergeben sollte.
„Schließlich stand ich alleine, hatte aber noch zwei Päckchen im Rucksack und wartete einige Minuten, um auch noch den Rest loszuwerden. Es kam aber niemand mehr, und so ging ich den leicht ansteigenden Weg zur Straßenbahn. (…) Ich hatte mich ungefähr 50 Meter vom Bahnhof entfernt (…), als unmittelbar hinter mir ein Mann vom Bretterzaun heruntersprang, sich an meine Seite setzte und, während er die Pistole zog, fragte: ‚Was hast du in deinem Rucksack?’“ (Ludwig Göhring, S. 72.)
Die Weitergabe der Pakete war von der Ehefrau des Wirts einer nahe gelegenen Gaststätte beobachtet worden. Sie informierte ihren Mann, der bei der SA anrief und einen Angestellten anwies, den Verdächtigen mit dem Rucksack bis zu deren Eintreffen festzuhalten.
Der 12. August 1933 war ein Wendepunkt im Leben des gerade 23-jährigen Ludwig Göhring. Es war der letzte Tag in Freiheit – für mehr als elf Jahre. Ein erstes Verhör durch SA-Angehörige begann noch in der Wirtschaft. Ludwig Göhring schwieg – und wurde geschlagen. Blutend wurde er zur Stabswache gebracht, wo die Schläger der SA nach einigen Stunden Druckerschwärze an seinen Händen entdeckten. Ludwig Göhring verriet das Versteck der Druckmaschine, nicht aber seine Genossen.
Am 16. August 1933 wurde Ludwig Göhring in eine Zelle im Polizeipräsidium Deutschhauskaserne verlegt, weiter verhört und geschlagen. Am 18. August kam er als Häftling mit der Nummer 2009 in das Konzentrationslager Dachau und dort direkt in den Arrestbunker. Bei reduzierter Nahrung musste er mehr als ein Jahr in Einzelhaft in einer Dunkelzelle verbringen. Anfang November 1934 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat in München zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und in ein Justizgefängnis in Nürnberg überstellt. Die bedeutete eine Erleichterung: Die Dunlkelhaft war beendet und die Schläge hörten auf.
Am 7. Oktober 1936 hätte Ludwig Göhring entlassen werden müssen, er wurde stattdessen jedoch von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen. Direkt aus dem Nürnberger Gefängnis wurde er erneut ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Am 1. November 1939 verlegt die SS Ludwig Göhring zusammen mit 4000 anderen Gefangenen in das Konzentrationslager Flossenbürg. Dort muss er schwere Erd- und Transportarbeiten, vor allem in einem Steinbruch, verrichten. Seine körperliche Verfassung verschlechtert sich zusehends. Ende Februar 1940 wurde er ins KZ Dachau zurückverlegt. Dort arbeitete er in der Effektenkammer bei der Verwaltung der Gelder der Häftlinge, was ihm eine gewisse Erholung ermöglicht.
Wegen der schlechten Versorgung mit Nahrungsmitteln organisierten einige Gefangene eine Solidaritätsaktion: Das Geld von Häftlingen, die größere Beträge auf ihrem Konto hatten und sich bereit erklärten, davon abzugeben, wurde auf Häftlinge mit leeren Konten umgebucht. So konnten auch die Häftlinge, die kein Geld besaßen, ein wenig in der Kantine einkaufen. Die Aktion wurde jedoch entdeckt. Pfalhängen, Auspeitschen und ein Jahr Strafkompanie waren die Folgen für Ludwig Göhring.
1944 – Ludwig Göhring war inzwischen 33 Jahr alt und hatte die letzten elf Jahre im Gefängnis bzw. in Konzentrationslagern verbracht – begann ein neuer Abschnitt: Der Schutzhaftlagerführer Campe begann in KZ Dachau, die geheime Zusammenarbeit der politischen Häftlinge gegen die SS zu zerschlagen. Ab Juni 1944 wurden die ersten langjährigen politischen Häftlinge in andere Lager verlegt, am 21. Juli folgte – zusammen mit sieben weiteren Häftlingen – Ludwig Göhring. Ziel des Transports war das Konzentrationslager Neuengamme. Ludwig Göhring musste im „Kommando Klinkerwerk“ Sand aus Schuten schaufeln. Mithilfe inhaftierter Genossen kam er im Oktober als Schreiber in das Arbeitseinsatzbüro.
Am 4. November leitete eine lageröffentliche Erhängung die letzt Episode der Haftgeschichte Ludwig Göhrings ein. Nach dem Morgenappell wurde der Galgen aufgebaut und ein Häftling wegen unerlaubten Entfernens aus der SS-Sturmbrigade Dirlewanger erhängt. Am Montag, dem 5. November wurde Ludwig Göhring mit anderen Häftlingen an das Lagertor befohlen. „Soweit man übersehen konnte, fast ohne Ausnahme Kommunisten, der größte Teil langjährig inhaftiert, dazwischen einige Sozialdemokraten mit dem gleichen Status. (…) Nackt über die Barackengasse in die Kleiderkammer. Zuerst Wäsche, Socken, Uniform, Stiefel. Bei Nichtpassen darf sogar reklamiert werden.“ (Ludwig Göhring, S. 343/344.) Die KZ-Gefangenen wurden so zu Angehörigen der SS-Sturmbrigade Dirlewanger.
Die neuen Soldaten wurden über Krakau in die Slowakei transportiert. „Allein in unserem Abteil saßen annähernd 90 Jahre Gefangenendasein, verbracht in den unterschiedlichsten Gefangenenanstalten und Konzentrationslagern des ‚Reiches’ (…).“ (Ludwig Göhring, S. 347.) Ein Interesse, für den Nationalsozialismus in den Krieg zu ziehen, noch dazu an die Front im Osten, hatten die ehemaligen Häftlinge nicht. Nach einer kurzen Ausbildung marschierte das Batallon Richtung Front. Ludwig Göhring gelang es, sich beim zweiten Versuch im Dezember 1944 in einer unübersichtlichen Situation abzusetzen und schlug sich zu den sowjetischen Truppen durch.
Mithilfe von Russischkenntnissen konnte Ludwig Göhring sich beim ersten Zusammentreffen mit sowjetischen Soldaten verständigen und nach einem Nächtelangen Verhör, dieses Mal mit Dolmetscher, konnte er sein Ansinnen, auf sowjetischer Seite gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen glaubhaft versichern. Fortan kämpfte er aufseiten der Roten Armee. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin, sich an der Front per Lautsprecher an die deutschen Soldaten zu wenden und ihnen die Sinnlosigkeit ihres Kampfes zu verdeutlichen.
Im Oktober kehrte Ludwig Göhring als freier Mann in seine Heimatstadt Nürnberg zurück. „Die Mutter kam einige Tage nach meiner Ankunft nach hause. Welch eine Freude für sie. Wir feierten im Dezember 1945 ihren 65. Geburtstag.“ (Ludwig Göhring, S. 417.)
Ludwig Göhring fand eine Anstellung bei der Stadtverwaltung Nürnberg in der Betreuungsstelle für politisch und rassistisch Verfolgte des NS-Regimes. Er engagierte sich in den folgenden Jahren als Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).
Ludwig Göhring starb im Sommer 1999.